Dieser Artikel erläutert die Outside-in Perspektive in der Wesentlichkeitsanalyse und beschreibt, wie Entscheider in Unternehmen diese nutzen, um finanzielle Risiken und Chancen aus Nachhaltigkeitsthemen zu erkennen und zu bewerten. Statt die Auswirkungen des Unternehmens auf seine Umwelt zu betrachten, fokussiert die Outside-In Analyse auf die wirtschaftlichen Chancen und Risiken. Durch die Bewertung dieser Faktoren können Unternehmen gezielt strategische Entscheidungen treffen und ihre Zukunftsfähigkeit sichern. Neben konkreten Beispielen zeigen wir die Zuordnung zu den in der ESRS vorgegebenen Themengebieten auf.
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Begriffsklärung
Diese Perspektive betrachtet Nachhaltigkeitsaspekte, die als Chancen und Risiken auf ein Unternehmen einwirken können. Der Fokus wird meist auf die ökonomischen Auswirkungen gelegt. Im Englischen wird dies auch market based view genannt.
Der Begriff ist synonym zur „Outside-In Perspektive“ zu verstehen. Der Begriff der Materialität stammt ursprünglich aus dem Rechnungswesen und beschreibt so etwas wie Relevanz oder auch Wesentlichkeit für die Geschäftstätigkeit.
Der Kontext: Doppelte Wesentlichkeitsanalyse
Die Risiken und Chancen eines Unternehmens erfassen
Im Rahmen der Doppelten Wesentlichkeitsanalyse bewerten Sie, welche Themen insgesamt in puncto Nachhaltigkeit hohe Bedeutung für Ihr Unternehmen haben. Die Inside-Out Perspektive bildet dabei den Blick auf die Risiken und Chancen ab, die sich aus Nachhaltigkeitsaspekten für das Geschäftsmodell eines Unternehmens ergeben. Hierbei geht es nicht nur um rein ökologische Betrachtungen, sondern explizit auch um die ökonomische Seite der Nachhaltigkeit. Dieser ganzheitliche Ansatz gewährleistet, dass Unternehmen sowohl die direkten als auch die indirekten finanziellen Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeiten im Kontext von Nachhaltigkeit erkennen und adressieren.
Ein Beispiel: holzverarbeitende Betriebe, die auf Wälder als Ressource angewiesen sind, können durch den Klimawandel gefährdet werden, wenn ein Befall wie der des Borkenkäfers die Bäume bedroht. Zugleich kann die Holzentnahme in der eigenen Lieferkette Waldbestände langfristig destabilisieren, was zu finanziellen Risiken führt.
Outside-In Perspektive, Schritt 1: Chancen und Risiksen identifizieren
Die Aufgabe ist zunächst, eine Liste der möglicherweise wesentlichen Aspekte zu identifizieren (z.B. Biodiversität). Wie das funktioniert beschreiben wir in unserem Beitrag Die Wesentlichkeitsanalyse: Nachhaltigkeit einfach und effektiv im Mittelstand umsetzen.
Entlang dieser Liste können Sie einfach und systematisch die finanziellen Risiken und Chancen identifizieren, die sich aus verschiedenen Nachhaltigkeitsthemen ergeben können. Diese Risiken und Chancen könnten so bedeutend sein, dass sie eine Anpassung oder sogar eine grundlegende Neuausrichtung Ihres Geschäftsmodells erforderlich machen.
Die ESRS-Handlungsfelder nutzen
Die Europäische Nachhaltigkeitsrichtlinien können und sollten eine weitere Quelle für Outside-In Themen sein. Die zehn Hauptkategorien umfassen ökologische, soziale und Governance-Aspekte. Durch sorgfältiges Studieren des Katalogs können Sie weitere Sicherheit gewinnen, dass Sie alle wesentlichen Themen erfasst haben. Die folgende Tabelle zeigt die Übersicht.
ESRS Kategorie | Thema |
---|---|
ESRS E1 | Climate change (Klimawandel) |
ESRS E2 | Pollution (Umweltverschmutzung) |
ESRS E3 | Water and marine resources (Wasser- und Meeresressourcen) |
ESRS E4 | Biodiversity and ecosystems (Biodiversität und Ökosysteme) |
ESRS E5 | Resource use and circular economy (Ressourcennutzung und Kreislaufwirtschaft) |
ESRS S1 | Own workforce (Eigene Belegschaft) |
ESRS S2 | Workers in the value chain (Arbeiter in der Wertschöpfungskette) |
ESRS S3 | Affected communities (Betroffene Gemeinschaften) |
ESRS S4 | Consumers and end-users (Verbraucher und Endnutzer) |
ESRS G1 | Business conduct (Unternehmensführung) |
Jedes dieser zentralen Kapitel enthält zusätzliche Unterthemen, die spezifischere Aspekte des jeweiligen Bereichs behandeln.
Eigene Expertise nutzen
Um Risiken und Chancen zu finden, sollten Sie unbedingt die Expertise im eigenen Haus nutzen. In Workshops können so erste Erkenntnisse gewonnen werden. Aber Obacht: die reine Innensicht birgt oft blinde Flecken und kann zu Fehleinschätzungen führen. Zum Beispiel verstehen viele Unternehmen noch sehr unzureichend, wie sie entlang ihrer Lieferkette von einer intakten Natur abhängen. Zum Beispiel ist vielen unklar, wo Wasserknappheit, Landverbrauch oder Biodiversitätsverlust Lieferketten unterbrechen oder Kosten in die Höhe treiben könnten.
Stakeholder befragen
Kunden, Lieferanten und Verbände sind daher relevante externe Ansprechpartner, um Outside-In Risiken und Chancen zu entdecken. Aber auch Nichtregierungsorganisationen, Finanzakteure und die Wissenschaft bieten häufig wichtige Ansatzpunkte. Informationen können Sie über Gespräche oder Befragungen, aber auch über Veröffentlichungen dieser Akteure einholen.
Outside-In Perspektive, Schritt 2: Risiken und Chancen bewerten
Wenn Sie nun die finanzielle Materialität Ihres Unternehmens bewerten möchten, empfiehlt es sich, eine differenzierte Betrachtung der potenziellen Auswirkungen und deren Eintrittswahrscheinlichkeiten vorzunehmen. Dabei sollten Sie zwei zentrale Dimensionen besonders berücksichtigen: das monetäre Ausmaß der Auswirkungen und die Wahrscheinlichkeit ihres Eintretens. Die folgende Tabelle bietet eine mögliche Umsetzung orientiert an den EFRAG-Richtlinien (5er-Skala).
Ausmaß des finanziellen Einflusses | Wahrscheinlichkeiten |
---|---|
(5) kurzfristig sehr hoch | (100%) fast sicher |
(4) kurzfristig hoch oder mittelfristig sehr hoch | (75%) hohe Wahrscheinlichkeit |
(3) mittelfristig hoch oder langfristig sehr hoch | (50%) mittlere Wahrscheinlichkeit |
(2) kurz-, mittel- oder langfristig möglich | (25%) geringe Wahrscheinlichkeit |
(1) ohne Konsequenzen | (1) fast nicht möglich |
Das Ausmaß des finanziellen Einflusses sollten Sie zusätzlich in Finanzkennzahlen quantifizieren. Eine pragmatische Lösung ist die Definition von Cash-Flow-Effekten für die jeweiligen Zahlen auf der Skala. Zum Beispiel: (3) X-XX% des Cash-Flows eines Finanzjahres. Bei der Festlegung dieser Bandbreiten sollten Sie sich an ihrem Risikomanagement im Finanzbereich orientiere und dort vorliegende Schwellenwerte übernehmen bzw. übersetzen
Outside-In Perspektive, Schritt 3: Auswählen und Priorisieren
Die breit angelegte Sammlung der Themen stellt sicher, dass Sie keine Chancen und Risiken übersehen. Die Bewertung in Schritt 2 erlaubt es Ihnen, die Vielfalt der Themen auszudünnen.
Üblicherweise werden die Zahlenwerte beider Spalten multipliziert. Nur diejenigen Themen mit einem Wert oberhalb einer (von Ihnen selbst einheitlich definierten Schwelle) sind als wesentlich eingestuft und bedürfen einer weiteren Behandlung.
Wenn mehrere Risiken bzw. Chancen für einen Aspekt (z.B. Biodiversität) zusammenkommen, dann müssen sie noch entscheiden, wie Sie den Aspekt insgesamt bewerten. Hier sind unterschiedliche Ansätze möglich (z.B. Addition von Risiken, Höchstwertansatz, Indices). Wofür auch immer Sie sich entscheiden, dokumentieren Sie Ihr Vorgehen – und achten Sie darauf, dass es relevante Ergebnisse zur Berücksichtigung in Ihren unternehmerischen Entscheidungen erzeugt. Denn um die geht es am Ende.